„Castells“ – die gigantischen Menschentürme

„Castells“ – die gigantischen Menschentürme

Veröffentlicht in Übersetzung Allgemeines am 10/10/2022

Denkt man an Katalonien, eine autonome Region im Nordosten Spaniens, kommt einem wohl zuallererst folgendes Bild in den Kopf: Eine große Menschenmenge, die stillschweigend beobachtet, wie zahlreiche Personen mit vereinten Kräften eine Menschenpyramide bilden und anschließend in schallenden Applaus ausbricht.

Diese Menschentürme werden „castells“ genannt und sind wohl mit Abstand die bekannteste katalanische Tradition. Die Türme werden von „castellers“, einer Gruppe von Personen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Körperbaus gebildet, indem sie auf den Schultern der anderen stehend einen Turm aus mehreren Etagen formen. Diese Tradition erfreut sich schon seit Jahrzehnten derartiger Beliebtheit, dass sie 2010 von der UNESCO zum Immateriellen Kulturerbe erklärt wurde. Doch das Besondere an den „castells“ ist nicht nur die eindrucksvolle Show, die geboten wird. Es sind vielmehr Werte wie Zusammenhalt, Vertrauen, Solidarität und Zusammenarbeit, die diese Tradition so besonders machen.

Der Ursprung der „castells“

Die bekannten „castells“ sollen Anfang des 19. Jahrhunderts in der Stadt Valls in der katalanischen Region Tarragona aufgekommen sein. Es handelt sich hierbei um eine heidnische Tradition, die eine religiöse Bedeutung innehatte. Die erste Gruppe, auch „colles“ genannt, wurde 1801 gegründet und nannte sich „Colla Vella dels Xiquets de Valls“. Diese bildete Menschentürme, begleitet von typisch katalanischer Volksmusik und Trommelwirbel. Kurz darauf wurde 1805 die zweite Gruppe namens „Colla de Joves Xiquets de Valls“ gegründet. Von da an veranstalteten diese Gruppen Wettkämpfe darüber, wer den höchsten oder komplexesten Menschenturm bilden konnte. Auf diese Weise verlor die Tradition ihre religiöse Bedeutung, wurde jedoch zu einem festen Bestandteil katalanischer Volksfeste und breitete sich über die Jahre hinweg über Tarragona in ganz Katalonien aus.

Die Eigenschaften eines „castellers“

„Força, Equilibri, Valor i Seny“ – also „Kraft, Gleichgewicht, Mut und Verstand“ sollen die Eigenschaften eines „castellers“ sein. Kraft ist ausschlaggebend, da es Personen sind, die das Gewicht der anderen „castellers“ auf ihren Schultern tragen. Kraft, eine gute körperliche Kondition und eine gute Technik sind daher das A und O eines erfolgreichen „castellers“. Gleichgewicht ist von großer Bedeutung, da „castells“ meist aus mehreren Etagen bestehen und man somit das Zusammenfallen des Turmes verhindern kann. Mut ist außerdem eine bedeutende Komponente, da die Türme sehr hoch sind und die „castellers“ aneinander hochklettern, um auf ihre Position zu gelangen. Ohne eine gute Portion Mut funktioniert dies nicht. Der Verstand ist die wohl wichtigste Eigenschaft eines „castellers“. Das erfolgreiche Bilden eines „castells“ fordert von jedem einzelnen Mitglied ein großes Ausmaß an Konzentration und Menschenverstand, denn nur mit vereinten Kräften können die eindrucksvollen Menschentürme entstehen und die Zuschauer zum Jubeln gebracht werden.